NEBEL: Thriller
„Immerhin, jeder kleine Sieg verschaffte ihr eine gewisse Befriedigung. Wenigstens konnte sie selbst stolz darauf sein, gute Arbeit geleistet zu haben, auch wenn es sonst niemand erwähnenswert fand.“ (Zitat Seite 329)
Inhalt
Dieses Weihnachten 1987 im kalten, tief verschneiten Island verändert das Leben von Hulda Hermannsdóttir, Kommissarin bei der Polizei Reykjavík, unwiderruflich. Doch es ist ihr wichtig, nach einem Sonderurlaub rasch in ihren Beruf zurückzukehren. Ihr Chef betreut sie mit einem sehr speziellen neuen Fall. Die Bewohner eines einsamen Bauernhauses im abgelegenen Osten Islands, ein altes Ehepaar, wurden tot aufgefunden. Sie waren nicht friedlich verstorben und es musste bereits während der Weihnachtstage passiert sein. Gleichzeitig lässt Hulda das nach wie vor ungeklärte, spurlose Verschwinden einer jungen Frau während der Sommermonate keine Ruhe.
Thema und Genre
In diesem Thriller, dem dritten und letzten Band der Serie um die Ermittlerin Hulda geht es um Familie, Verlust, Schuld und Verantwortung. Auch psychologische Elemente spielen eine wichtige Rolle.
Charaktere
Hulda muss mit einem persönlichen Schicksalsschlag fertig werden, für den sie sich mitverantwortlich fühlt. Teilweise sind ihre Gedanken dadurch abgelenkt, gerade deshalb übernimmt sie diesen neuen Fall bewusst und vertieft sich in die Ermittlungen. Sie ist eine sehr genaue, erfolgreiche Kriminalbeamtin, doch sie weiß auch, dass sie mit ihren vierzig Jahren beruflich wesentlich weiter wäre, wäre sie in Mann. Umso mehr ist sie entschlossen, immer einfach ihr Bestes zu geben.
Handlung und Schreibstil
Die Ereignisse werden in zwei paralellen Geschichten geschildert, die in den Weihnachtstagen 1987 und Februar 1988 spielen. Ein ergänzender dritter Handlungsstrang führt zurück in den Sommer 1987. Der Winter in Island ist düster und kalt und gerade deshalb sind die Traditionen des Weihnachtsfestes für die Menschen so wichtig. Doch in diesen gemütlichen Beschreibungen über das typische Festessen und Bücher, die als Geschenk unbedingt zu einem isländischen Weihnachtsfest gehören und die man auch sofort mit Vorfreude zu lesen beginnt, schwingen rasch Beklemmung und Ängste mit. Vermutungen ergeben sofort einen besonderen Sog in diese packende Geschichte und überraschende Wendungen sorgen für zusätzliche Spannung. Der Autor spielt mit der Sprache und fängt die unterschiedlichen Stimmungen eindrücklich ein und versetzt uns beim Lesen sofort in das einsame winterliche Island.
Fazit
Weihnachten im kalten, tief verschneiten Island wird besonders gemütlich und traditionell gefeiert, doch manchmal trügt der Schein und was zuerst in der Dunkelheit nur mitschwingt, tritt immer deutlicher hervor. Ein vielschichtiger, sehr spannender Nordic Noir Thriller, ein gelungener Höhepunkt zum Abschluss dieser Serie. Auch die gewählte Form, diese Trilogie im Zeitablauf rückwärts zu erzählen ist ebenso ungewöhnlich wie genial und packend, ich würde, obwohl nun ja alle drei Bände erschienen sind, genau die vom Autor gewollte Reihenfolge DUNKEL – INSEL – NEBEL einhalten.
Ein Leuchtturm in der Krimiliteratur
„Nebel“ ist der letzte – oder eigentlich erste – Roman der Hulda-Trilogie von Ragnar Jonasson, mit der er die Bestsellerlisten stürmte. Der Clou liegt in der zeitlich umgekehrten Abfolge der Bände. Lernen wir die Kommissarin Hulda zunächst an der Schwelle des Ruhestands kennen („Dunkel“), springen wir zurück in ihre gereifte, männerdominierte Berufswelt („Insel“) und zum Schluss an den Anfang, als sie vierzigjährig einen grausamen Schicksalsschlag verkraften muss. Dies ist die Geschichte von „Nebel“. Ein düstere, fatalistische Kriminalhandlung, wie sie bevorzugt in den langen Nächten des Nordens – wie in Skandinavien oder hier Island – hervorgebracht wird.
Zu "Nebel": Mehrere Handlungsstränge müssen verknüpft werden. Zum einen ist da das Verschwinden einer jungen, lebenslustigen Frau, die es in den Osten Islands verschlagen hat. Ein Cold Case, denn viele Jahre weiß scheinbar niemand, was ihr zugestoßen ist. Zum anderen werden nach Weihnachten auf einem entlegenen Bauernhof Leichen entdeckt und schnell wird klar, dass ein brutaler Mord stattgefunden hat. Hulda, die selbst noch stark traumatisiert ist, muss und will sich dieses Falls annehmen. Ihr Schicksal, eine Familientragödie an Weihnachten, ist der persönliche Handlungsrahmen, der langsam über die gesamte Geschichte gespannt wird und eine eigene Triebkraft für die Aufklärung der Morde entwickelt.
Die gesamte Trilogie ist sehr eindrucksvoll. Am besten gefällt mir „Nebel“, der Abschluss als Anfang dieser starken Frauenfigur Hulda. Sie hat es alles andere als leicht und an keiner Stelle wird ihr (oder der Leserschaft) zuliebe Rücksicht auf ihre geschundene Seele genommen. Gerade diese Authentizität erzeugt eine ungeheure Anziehungskraft, denn dadurch wird die ebenso schonungslose Realität gespiegelt. Stark sind auch die Dialoge und die inneren Monologe der glaubhaften Charaktere in diesem Roman, der streckenweise die Dichte eines Kammerspiels aufweist.
„Nebel“ und die gesamte Trilogie ist eine Empfehlung. Die Bücher bleiben lange im Gedächtnis und prägen eine außergewöhnliche Figur, die so latent wundervoll und widerstandsfähig wie eine Löwenzahn-Pflanze ist.